
Voller Kraft, diese Wut!
„Blöde Mama“
Mein erstes Wort-Wut Erlebnis als Mama 🙂
Die kleinen Arme entschlossen vorm Körper verschränkt, die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen gezogen, in denen Tränen glitzern. Die Füße fest in den Boden gestemmt, steht meine kleine Tochter vor mir und funkelt mich wütend an. Wenn die Wut in ihrem Bauch ein Ball gewesen wäre, dann hätte sie ihn wohl in diesem Augenblick nach mir geworfen. Stattdessen trifft sie mich mit ihren Worten.
Blöde Mama. Blöde, blöde Mama!
Ich kann mich heute nicht mehr daran erinnern, was genau zu dem Wutanfall geführt hatte. Aber ich kann mich noch gut an das Gefühl erinnern, welches diese Worte damals in mir ausgelöst hatten. Es fühlte sich wie der Anfang vom Ende an. Wie ein riesengroßes Versagen meinerseits.
Wir hatten doch niemals die Stimme erhoben, niemals geschimpft, niemals Wut, Ärger oder Zorn gegen unsere Tochter gerichtet.
NIEMALS! Und jetzt?
Ich fühlte mich getroffen. War entsetzt. Berührt an einem unbestimmten Punkt in meinem Herzen, dass sich genau dort schmerzhaft zusammenzog.
Mein kleines Baby, mein süßes, kleines Mädchen das so gern kuschelte und sich so sanft in meine Arme schmiegen konnte, hatte plötzlich diese übergroßen Wut im Bauch. Ich fühlte mich regelrecht überrumpelt und hatte keine Ahnung, wie ich reagieren sollte, was richtig und was falsch war. Und hatte darüber hinaus zig Worte und Sätze im Mund, die ich aus meiner Kindheit zum Thema Schimpfen kannte …
Was sagt man in so einem Moment als Mama (oder auch Papa)?
meine Gedanken damals rotierten …
War das nicht irgendwie „böse“, „schlimm“ oder gar „unartig“?
War das jetzt der Beweis dafür, dass unsere Idee von liebevoll und achtsam und bedürfnisorientiert nicht aufgegangen war?
Hatten wir etwas falsch gemacht?
War das jetzt genau diese Entwicklung, die uns immer angedroht wurde?
War uns dieses kleine Mädchen schon „über den Kopf gewachsen“ wie sie so gerne sagten?
Und war er nun doch gekommen? Dieser „Ihr werdet schon noch sehen, wo das endet“ – Moment?
Sollte ich nicht rasch handeln, damit so etwas nicht wieder geschah?
Sollte ich nicht irgendetwas so richtig Wichtiges und pädagogisch Wertvolles sagen oder tun, damit sie so etwas nie wieder sagte oder zumindest spürte, dass das nicht ging, das mit dem Schimpfen?
„Das sagt man nicht!“
Oder vielleicht doch? Manchmal vielleicht? Ein kleines bisschen nur?
Ist es wirklich so schlimm?
Blöd, das ist eines dieser Worte von denen wir gelernt haben, sie in die „schlimm und sagt man nicht“ Schublade zu stecken.
Für kleine Menschen sind es einfach Worte. Kräftige Worte. Worte deren Bedeutung und Verwendung sie ziemlich schnell lernen. Nicht nur, weil es wohl keinen Erwachsenen auf diesem Planeten gibt, der sie nicht ab und an verwendet, sondern auch, weil es schier unmöglich ist zu verhindern, dass kleine Menschen nicht doch ab und an ein solches Wort hören.
Und nicht zuletzt gibt es mit großer Wahrscheinlichkeit auch (fast) keinen Erwachsenen der nicht auf die eine oder andere Art und Weise auf derartige Worte re-agiert.
Und das wirkt.
Unweigerlich.
Denn es lässt kleine Menschen aufhorchen und macht sie neugierig.
Warum um alles in der Welt werden manche Worte einfach so hingenommen und warum erregen andere Worte eine solche Aufmerksamkeit? Lassen das Gegenüber wütend werden oder traurig? Und warum will niemand, dass man sie sagt?
Und so müssen wir uns – als Eltern – über kurz oder lang mit diesem Thema auseinandersetzen. Wut und Schimpfworte und unsere Reaktion.
Müssen wieder einmal unsere Glaubenssätze durchforsten, Prägungen und Verhaltensmuster anschauen und uns letzten Endes Gedanken darüber machen, wie wir reagieren wollen. Immerhin – unsere von Erziehungsmustern und Glaubenssätzen geprägte Gesellschaft bietet uns da so einige Ansätze, was zu tun sei wenn, …
Doch sind diese auch hilfreich?
Oder anders gefragt:
Können diese empfohlenen Herangehensweisen und Erziehungsmethoden wirklich eine Lösung sein?
Einmal Dampf ablassen bitte …
Einmal ungeachtet der Tatsache, das neu erlernte oder irgendwo aufgeschnappte und interessant klingende Worte einfach mal gerne ausprobiert werden – vor allem deren Wirkung – finden kleine Menschen recht schnell heraus, dass in Spannungs- und Wutmomenten die eigene Stimme als Werkzeug und Ausdrucksmöglichkeit sehr hilfreich sein kann. Nicht nur, dass Stimme und Worte einem Gehör verschaffen, können sie den innerlichen Druck und die Anspannung recht effektiv mindern und fürs Erste etwas erleichtern.
Und wo die Kleinsten in Stress- und Spannungssituationen einfach mal loskreischen oder quietschen, sich auf den Boden werfen und ihrer Wut dadurch Ausdruck verleihen, haben die etwas größeren Kleinen schon gelernt, dass gerade diese teils verpönten, aber doch so kraftvollen Worte sehr effektiv sein können. Vor allem wenn es darum geht, dem Gegenüber ganz genau zu zeigen, wie wütend man wirklich ist.
Natürlich, besonders fein sind Schimpfworte nicht. Keine Frage. Schon gar nicht, wenn sie jemandem an den Kopf geworfen werden. Und zweifelsohne ist es wichtig, kleinen Menschen zu erklären, dass derartige Worte verletzen, traurig oder auch wütend machen können und manchmal schlicht und einfach unangemessen sind.
Doch andererseits können wir froh sein, wenn im Emotionssturm auch die Worte sprudeln und fließen und „die blöden kakafurz oder wie auch immer Worte“ zum Besten gegeben werden.
Warum?
Weil sie den Emotionen Raum verschaffen und weil sie beim Dampf ablassen helfen und weil sie dadurch einen wesentlichen Teil dazu beitragen, dass die körperliche Wut-Reaktion weitestgehend verhindert wird.
Wer kleinen Menschen beim Schimpfen Einhalt gebietet, dieses vielleicht gar verbietet oder maßregelt, muss damit rechnen, dass in Wut-Situationen Aggression (gegen sich und andere) nicht lange auf sich warten lässt.
Politisch korrekt? Lieb und sanft?
Muss nicht immer sein. Nein. Das wäre für kleine Menschen schlicht und einfach zu viel verlangt. Vor allem in Emotionsstürmen, von denen sie gebeutelt werden.
Und ja, natürlich müssen wir mit ihnen über die Wirkung und die Bedeutung von solchen Worten sprechen. Doch sicherlich nicht in dem Augenblick, in dem der Sturm tobt und die Anspannung übergroß ist.
Nicht nur, dass es keinen Sinn hätte, weil Erläuterungen, Ermahungen und Verbote in solchen Momenten schlicht und einfach nicht gehört werden, führen derartige Maßnahmen im Grunde nur dazu, dass der kleine Mensch sich noch ein wenig schlechter fühlt.
Fast so, als wäre an der Wut und der Anspannung und dem darauf folgenden Ausbruch irgendetwas falsch … und fast so als müsste alles daran gesetzt werden, diesen Ausbruch zu verhindern.
Und genau das führt über kurz oder lang zu nach innen oder auch nach außen gerichteter Aggressivität.
Einfach sein lassen … und geschehen lassen
Ja aber, … geht das denn?
Wird das dann nicht immer mehr, wenn es einfach sein darf?
In einer von Erziehungsmustern und Glaubenssätzen geprägten Gesellschaft, in der das politisch korrekte sprechen so wichtig erscheint, Gefühle und Emotionen nach wie vor in die guten, erwünschten und die schlechten, unerwünschten eingeteilt werden, in der so Vieles auf einer unbewussten Ebene wirkt und Schimpfworte einerseits teil der erwachsenen Sprache sind und andererseits wiederum zum absoluten „NO-GO“ zählen (vor allem für kleine Menschen) ist es schwer ES (das Schimpfen) in dem Augenblick einfach geschehen zu lassen.
So viele Gedanken, die einen dabei begleiten.
So viele Glaubenssätze, die es schwer machen.
So viele Ängste und Zweifel, die hochkommen …
Und doch braucht es genau das, in dem Augenblick.
Denn weder Wut noch Schimpfworte sind ein Vergehen, welches geahndet werden muss, sondern Ausdruck von Empfindungen, die begleitet werden dürfen. Und begleitet werden müssen.
Aber keineswegs in Form von „Das sagt man nicht“ – Ermahnungen, Maßregelungen, Verboten oder schlimmer noch von und durch Liebesentzug.
Sondern in erster Linie durch unser ruhiges, kraftvolles, liebevolles, verständnisvolles und bedingungsloses DASEIN. Durch unsere Bieten von Anhalts- und Orientierungspunkten.
Auch dann, wenn die Wut sich gegen uns richtet?
Ja, auch dann.
Keine Frage. Wenn kleine Menschen schimpfen, dann berührt uns das. Vor allem dann, wenn sich die Wut gegen uns wendet und die Schimpfworte uns treffen. Und wie bereits erwähnt ist es natürlich wichtig dem kleinen Menschen zu erklären, warum oder wieso es nicht angemessen ist, andere Menschen zu schimpfen.
ABER: Später. Dann, wenn die Wut verraucht ist. Wenn die Anspannung der Entspannung gewichen ist, wenn die Tränen fließen können oder schlicht und einfach auch dann, wenn der Moment längst vergessen scheint.
Denn ja, manchmal richtet sich die Wut gegen uns. Selbst dann, wenn wir nicht der Auslöser sind, sondern vielleicht nur der Puffer. In erster Linie, weil wir – als Mama oder Papa – schlicht und einfach DER sichere Hafen für kleine Menschen sind. Wo alles – fast ohne Rücksicht auf Verluste – losgelassen und abgeladen werden kann.
Wo sonst, wenn nicht bei uns? Wo keine Gefahr droht? Wo die Wahrscheinlichkeit groß ist, Hilfe und Unterstützung zu bekommen? Begleitet zu werden? Keinen Kontrollverlust zu erleiden?
Das erklärt auch dieses „bei Oma oder Opa oder Tante oder Onkel oder Freunden macht er/sie das nie“ – Phänomen, das sich gerade bei kleinen Menschen so oft zeigt und das ganz oft Thema in unseren Seminaren und Gruppen ist.
Und obwohl es anstrengend und eine ziemlich große Herausforderung sein kann, einfach wirklich zum Fels in der Brandung und Ruhepol zu werden, ist es das einzig wichtige und hilfreiche für den kleinen Menschen (und letztendlich auch für uns) in solchen Augenblicken.
Was euch beim Ruhig bleiben und in der Wut-Situation helfen kann
- bewusst Atmen
- für einen kurzen Augenblick die Augen schließen
- sich selbst ganz bewusst spüren und wahrnehmen wo du durch die Wut berührt wirst
- etwas tun, wovon du weißt, dass du dich dadurch sicherer und wohler fühlst (sich selbst verwurzeln und „in Sicherheit“ bringen um kraftvoll da sein zu können)
- das Rundherum wenn möglich, weitestgehend ausblenden
- sich hinsetzen oder hocken
- wenig bis keine Worte – wenn nötig nur sehr knapp und kurz, doch am besten im tobenden Sturm einfach nur Innehalten und Zuhören
- wenn möglich und erwünscht, Schulter oder Rücken des kleinen Menschen berühren
- wenn möglich und die Bereitschaft da ist, in den Arm nehmen
- einfach nur Dasein und Abwarten …
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