Über Zusammenbrüche und Werkzeuge
Schluchzend liegt sie in meinen Armen. Ihr kleines Herz rast, die Wangen sind nass von ihren Tränen, ihr kleiner Körper zittert und bebt … doch die Anspannung ist nun endlich weg. Das lösende Weinen da, der sichere Hafen erreicht, jetzt darf der Sturm ziehen.
„Ich wollte die Flasche alleine aufmachen.“, sagt sie leise unter Schluchzern zu mir. „Ganz alleine. Und dann hat die L. mir einfach die Flasche aus der Hand genommen“ „Und das hat dich ganz wütend gemacht?“ Sanft streiche ich ihr mit meiner einen Hand über den Rücken, während ich mit der anderen Hand dem Baby über den Rücken streichle, das vom Gefühlssturm der kleinen großen Schwester vollkommen überwältigt wurde und ebenfalls zu Weinen begonnen hat und sich erst jetzt, nach und nach beruhigt.
„Aber ich will noch raus. Und ganz müde bin ich auch und der Papi soll kommen.“
„Das war ganz schön viel auf einmal.“
„Ja“
Was für ein Sturm, der da soeben abgezogen ist. Der absolute Supergau – in Wahrheit. Der Liebste nicht da, die Kleinen vollkommen übermüdet und die Trinkflasche, die von der großen Schwester aufgemacht wurde obwohl sie selbst aufgemacht werden wollte. Ich hätte es besser wissen müssen. Doch ab und an bringt all das Wissen, all die Erfahrung nichts, wenn man sich von der lange friedlichen Stimmung täuschen lässt und das Bauchgefühl ignoriert. Das Gefühl, dass dir beständig sagt, dass es jetzt mal an der Zeit wäre, das Abendprogramm einzuläuten um wohlbehalten in den sicheren Hafen zu gelangen.
Dabei lag ich heute echt gut in der Zeit. Nach dem Ausflug zum Badeteich, dem langen Weg hin, dem Spielen und Schwimmen vor Ort und dem Weg wieder zu Fuß zurück, war mir klar, dass es am Besten wäre, gleich mit dem Abendessen zu beginnen. Und das haben wir ja auch gemacht. Dann aber, hätte ich den Tag beschließen sollen. Reingehen, Buch lesen, vielleicht noch das eine oder andere Spiel spielen und dann ab ins Bett. Nur war es draußen noch so schön. Und hell. Und das Spielen lief ja auch echt super. Alle zufrieden. Alle glücklich. Alle (scheinbar) fit und gut drauf …
Bis zum Zusammenbruch …
Tja, bis zum Zusammenbruch. Bis der Durst ganz groß war und die 7jährige der 3jährigen die Trinkflasche einfach ungefragt aus der Hand genommen hat, um sie ihr zu öffnen. Nur, dass sie mit dieser Hilfe nicht nur die Trinkflasche, sondern auch das Ventil geöffnet hat, für das ZU VIEL der 3jährigen. Der daraus resultierenden Sturm war gewaltig. Mit Toben und Schreien und vollkommen unerreichbar für die Leuchtturmsignale. Das kleine Gesicht rot, der Körper am Beben und der Blick vollkommen verzweifelt.
Und dann?
In meinen ersten Mamajahren haben mich dieses Situationen vollkommen aus der Bahn geworfen. Sie haben mich hilflos gemacht, denn ich wollte begleiten und wusste nicht wie. Meine sanften Worte sind an den tobenden kleinen Menschen abgeperlt, wie Regentropfen an einer Glasscheibe. Oder haben sie schlicht und einfach noch wütender gemacht. Und mich letztendlich damit tief drinnen, irgendwo in mir, berührt und mein kleines ICH wachgerüttelt. Bis es reagiert hat. Laut und traurig und vollkommen unsicher …
Es hat einige Jahre und viele Stunden an spielerischer, systemischer Auseinandersetzung mit meinem eigenen Schmerz, meiner Hilflosigkeit und Verzweiflung gebraucht um einerseits meine Stabilität in diesen Situationen zu finden und andererseits den Mut aufzubringen, meine Hand auszustrecken und abzuholen, wenn gar nichts mehr geht.
Heute ist mein erster Schritt (und auch die erste Empfehlung immer an euch 🙂 ) in diesen Situationen, mich mit mir selbst zu verbinden, hinein zu fühlen, mein eventuell sich meldendes kleines ICH zu beruhigen und mich dann erst – im zweiten Schritt der Situation zuzuwenden und abzuschätzen, was gebraucht wird. Denn das, was gebraucht wird, ist nicht immer das Gleiche.
Heute wurde quasi die Seenotrettung gebraucht. Das kommt selten vor. Meist reicht es aus, dem Sturm Raum zu geben und als starker, strahlender Leuchtturm in Sichtweite zu bleiben, bis der sichere Hafen von selbst erreicht werden kann. Doch heute war der Sturm schon zu stark, das Gefühlswirrwarr zu groß und das kleine Wesen dermaßen außer sich, dass das schlichte Dasein nicht mehr ausgereicht hätte. Mehr noch war klar, da braucht es jetzt, den stabilen, führenden, klaren und gleichermaßen liebevollen und achtsamen Erwachsenen, der das kleine Wesen aus dem Sturm rettet.
Natürlich hätte ich heute auch abwarten können. Doch der Sturm hätte sich nicht beruhigt. Zu groß waren da schon die Bedürftigkeiten und zu wenig sichtbar (im Gefühlssturm) die Kontaktangebote und Leuchtturmsignale von meiner Seite. Also musste ich handeln, damit unsere 3jährige wieder in die Entspannung und Lösung finden konnte. Musste den Rettungsanker auswerfen und Stück für Stück in die sichere Zone begleiten.
Ein Kraftakt. DEFINITIV. Denn es bedeutet, sich in den Sturm zu begeben. Mitten hinein und Wut und Tränen und die volle Kraft des kleinen Menschen zu spüren zu bekommen.
Und dieses Mitten hinein geht eben nur, wenn da in einem selbst die absolute Klarheit, Ruhe und Selbstanbindung ist. Aber auch die Zuversicht, das Vertrauen und die Geduld. Drei wesentliche Komponenten, ohne die nix geht. Denn so eine Seenotrettung aus dem größten Sturm dauert.
Vor allem dann, wenn da nicht nur das kleine Wesen ist, in dem es so gewaltig stürmt, sondern da auch noch die anderen Kleinen sind, die durch den Sturm mitgerissen oder auch verunsichert werden. Umso dankbarer war ich da heute unserem 15jährigen. Der einfach kam, das Babylein an sich gedrückt hat und sich mit ihm aus der Gefahrenzone begeben hat. Einfach so. Einfach, weil er diese Werkzeuge in sich trägt und gar nicht lange darüber nachdenken muss <3.
Meine erste Aktion war heute, die tobende gar nicht mehr so kleine 3jährige ins Haus zu tragen. Dort war es schon mal wesentlich kühler und die Chance viel größer, dass der erhitze kleine Körper abkühlt. Das Glas Wasser (das sie dringend gebraucht hätte) hat sie noch nicht angenommen, dafür war das Toben und Brüllen noch viel zu groß. Also hab ich sie noch einmal hochgehoben und in die Dusche gebracht – denn ihre Füße waren nach dem sie draußen das Wasser ausgeschüttet hatte komplett gatschig – und ihr mal vorsichtig mit lauwarmen Wasser die Füße gewaschen. (Als kleine Randnotiz hier an dieser Stelle: Bei unserer dreijährigen gehen solche Aktionen, trotz Toben und Wüten, weil sie vom Wesen her eher die ruhige ist. Bei unserer heute 12jährigen wären dergleiche Aktionen damals unmöglich gewesen, ich hätte sie nicht einmal hochheben können – meine Schilderung hier ist also definitiv kein PAUSCHALREZEPT, sondern hat bezieht sich ausschließlich auf die heutige Situation!!!)
All mein Tun habe ich mit möglichst wenig aber sehr ruhigen Worten begleitet. Als sie dann aus der Dusche raus ist und wieder zur Türe wollte um raus zu gehen, hab ich mich davor gesetzt. Und einfach mal abgewartet. Und dann kam es, das erste Zuhören und Reagieren. Und ein bisschen auch REALISIEREN und damit einhergehend das Durchatmen. Der Sturm war damit noch lange nicht vorbei. Aber er hat an Intensität verloren. Und nach und nach kam dann das Luft holen, ruhiger werden. Letztendlich konnte sie dann auch das Glas Wasser annehmen und sich in den Arm nehmen lassen. Bis dann endlich zunächst das lösende Weinen und danach letztendlich das „ich sag dir was mich so berührt und durchgebeutelt„-Gespräch kam, war fast eine dreiviertel Stunde vergangen.
Wie schon geschrieben – es braucht Zeit.
Aber es ist wichtig. Denn Gefühle brauchen Raum und Zeit und eine Begleitung, die Sicherheit und Rückhalt gibt.
Und ja, das ist alles andere als leicht. Das erfordert viel Kraft und braucht vor allem danach – auch für uns Erwachsene, das Los- und Ziehen lassen. Und doch ist jeder Augenblick es wert. so anstrengend es auch sein mag. Denn unser Handeln im Heute, sind die Werkzeuge unserer Kinder im Morgen und ihrem eigenen Elternsein. Dessen dürfen wir uns immer bewusst sein!
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